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Wie immer donnerstags veranstaltete das FORUM46 am 14.01.2010 mit Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung und der SAP Deutschland AG & Co.KG den 14. Interdisziplinären Salon für Europa verbunden mit der Preisverleihung als "Ausgewählter Ort im Land der Ideen 2010".

Unser Thema war:

 

NEUES DENKEN

Impulse für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

 

Impulsstatement

Dr. Bernhard von Mutius
Sozialwissenschaftler und Philosoph

Die Diskussionsrunde

Prof. Dr. Birger P. Priddat
Lehrstuhl für Politische Ökonomie, Priv.Uni Witten Herdecke

Dr.med. Peter Langkafel
Healthcare Industry Director EMEA, SAP Deutschland AG & Co.KG

Prof.Dr. Stephan Breidenbach
Gründer von betterplace; Humboldt-Viadrina School of Governance

Moderation

Tiemo Ehmke, FORUM46
Interdisziplinäres Forum für Europa e.V.

Leitfragen

Erfolgreiche Innovationen und Beiträge zur Zukunftsgestaltung folgen keiner betrieblichen oder politischen Agenda, sondern sind den Erfahrungen und dem konkreten Einsatz von Betroffenen, Denkern und Erfindern zu verdanken. Ein Bewusstsein für die Neubewertung von Technologie-, Human- und Kulturpotenzialen in unserer Gesellschaft hilft, die komplexen Herausforderungen unserer Zeit einzuordnen und pragmatisch anzugehen.

Wie können wir ökonomisch, sozial und kulturell neu handeln? Wie erschliessen wir Potenziale, die nicht politisch oder rein ertragsorientiert programmiert sind? Welche neue Formen gesellschaftlicher Partizipation und welche neuen Geschäftsmodelle sind erkennbar?

>>> Eine Dokumentation des Salonabends können Sie hier sehen

 


NEUES DENKEN

Impulsstatement zum Salon von Dr. Bernhard von Mutius

Guten Abend. Auch ich darf Sie herzlich begrüßen zu diesem Ort der Ideen. Und ich würde gern mit einem Satz von Victor Hugo beginnen: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Welche Idee werden Sie fragen? Nun, ich bitte Sie noch um etwas Geduld.

Denn zunächst möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

Vor einigen Monaten besuchte die Queen die London School of Economics. An die anwesende Crème der britischen Ökonomenzunft stellte sie mit entwaffnender Naivität die Frage: „Warum haben Sie diese Finanzkrise nicht vorausgesehen?“ Man verstummte. (Zu recht. Immerhin gibt es rund eine Million registrierte Ökonomen auf der Welt. Nur eine Handvoll davon haben die Krise wenigstens in ihren Grundzügen kommen sehen.) Kürzlich sprach auch der US-Ökonom Paul Krugmann an der London School of Economics über die Schwierigkeit, die Krise vorherzusagen. Sein Fazit: „Wir brauchen eine ganz neue Art, Ökonomie zu lehren“...aber – Zitat “Ich weiß auch nicht so genau, wie das gehen soll.“

Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Nun, weil sie einiges mit der Fragestellung meines Beitrages zu tun hat: Dies ist eine Zeit der Komplexität, der Ungewissheit und der großen Veränderungen, in der auch die klügsten Köpfe (jedenfalls wenn sie ehrlich sind), oft nicht weiter wissen und nach einem neuen Verständnis dieser Welt und ihrer Systeme suchen.

Denn diese Krise, deren Nachwirkungen wir noch eine Weile spüren werden, ist – das ist meine feste Überzeugung – nicht nur eine ökonomische Krise, sondern zugleich eine Krise unseres Denkens.

 

Es steht nichts weniger als das bisherige, einseitige Leitbild des homo oeconomicus zur Debatte – mit seinem zu engen, berechnenden Rationalitätsbegriff und seiner verkürzten Perspektive des zu maximierenden Eigennutzens. Mehr noch: Es steht ganz grundsätzlich das Bild des Fortschritts unserer ausdifferenzierten Systeme und der sie antreibenden Spezialisten zur Diskussion. Systeme, die nicht nur selbstbezüglich, sondern geradezu selbstsüchtig agieren. Und zwar „durch die Bank“ müsste man sagen, wenn es nicht ein Kalauer wäre.

Das gilt übrigens nicht nur für das System der Wirtschaft, sondern ebenso für das Kunstsystem. Und natürlich für die Finanzwirtschaft und all die Experten, die versuchen, ihre Systeme zu optimieren, ohne nach links und rechts zu sehen. „Sie sitzen“, wie es bei Kleist heißt, „sämtlich wie die Raupe auf einem Blatte, jeder glaubt, seines sei das Beste, und um den Baum bekümmern sie sich nicht.“ Und – ich füge hinzu – sie sitzen natürlich überall immer noch oder schon wieder auf Ihren Blättern und fühlen sich dort sicher, allzu selbstsicher. Ist Ihr Fortschritts- und Optimierungsverständnis nicht das Allgemeine?

Bevor ich darauf genauer eingehe, möchte ich Sie zunächst etwas fragen. Zwei Fragen:

1. Wer von Ihnen glaubt mit Gewissheit sagen zu können, wie die wirtschaftliche Situation in einem Dreiviertel Jahr, sagen wir im Herbst 2010 aussehen wird?

2. Glauben Sie, dass die Komplexität der gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen in den nächsten Jahren eher geringer oder eher größer wird?

Wenn ich die erste Frage vor drei oder vier Jahren irgendwo, sagen wir bei einer Tagung zum Finanzplatz Deutschland gestellt hätte, wäre die Antwort ganz sicher anders ausgefallen. Da war man sich sicher und einig: Es geht nur aufwärts. Schneller, höher, weiter – und immer mehr. Was sollte schon schief gehen? Heute merken wir, dass stetiges, gleichmäßiges, stabiles Wachstum eher die Ausnahme als die Regel ist. „Turbulenz ist der normale Zustand der Atmosphäre“ um mit Enzensberger zu sprechen.

Ich werde oft gefragt, ob wir aus der Krise lernen können. Ich sage dann: ich weiß es nicht wirklich. Aber wenn, dann müssten wir zumindest an drei Punkten ansetzen.

Erstens: Das einseitige, kurzfristige Denken, das immer sofort den schnellen Nutzen und Gewinn haben wollte, ist abzulösen durch eine ausgewogenere, langfristigere, tatsächlich nachhaltige Denkweise in der Führung.

Zweitens müssten wir lernen, besser mit Ungewissheit und mit dem Unberechenbaren umzugehen. Bislang ist unser Denken immer noch zu linear und lebensfremd – wir glauben, die Wirklichkeit müsse sich nach unseren exakten Berechnungen und Planungen richten. Doch die Zeit dieser Engführung geht zu Ende. Wir brauchen ein erweitertes Denken, eine erweitertes Verständnis von Rationalität.

Drittens geht es um eine Haltungsänderung: Die Haltung der Selbstgewissheit, die nicht wenige Lenker in Wirtschaft und Politik so lange an den Tag legten, muss abgelöst werden durch eine andere, bescheidenere, demütigere Haltung: Wir wissen, dass wir es nicht genau wissen. Deshalb sind wir darauf angewiesen zu lernen, mit anderen in neuer Weise zusammenzuarbeiten und zu versuchen, gemeinsam neue Wege zu gehen.

Und darauf, auf diese neue Art der Zusammenarbeit wird es in den nächsten Jahren immer mehr ankommen. Ganz gleich ob wir an technologischen Innovationen in Unternehmen arbeiten oder an sozialen Innovationen durch soziale Kooperationen im politischen und bürgerschaftlichem Raum oder gemeinsam grenzüberschreitend an einer ökologischen- und Energiewende.

Wenn dies gelingen soll, brauchen wir ein neues, erweitertes Denken oder wie ich es nenne: das Andere Denken. Es gilt das Andere und den Anderen wieder einzuschließen in unsere Überlegungen, wenn wir in Zukunft etwas verständiger mit dieser komplexen Welt umgehen wollen. Und dazu brauchen wir eine Haltungsänderung. Das ist die Grundvoraussetzung, die Bedingung für die Möglichkeit einer gelingenden Praxis. Und damit dreht sich die Geschichte um. Es gab eine Zeit, da glaubten die Macher des „weiter so“ und „immer mehr“, gestützt auf die Expertise berechnender Experten die Praxis auf ihrer Seite. Inzwischen haben sich die Dinge verkehrt: Sie sind an und in der Praxis gescheitert. Das konventionelle, berechnende Denken hat sich bis auf die Knochen blamiert. Die Praxis selbst ist es also, die das Gebot eines neuen Nachdenkens, eine neuen Denkkultur an uns stellt – jedenfalls wenn wir die Logik des permanenten Misslingens überwinden wollen. Eine Denkkultur, die das Nichtwissen im Wissen und das Fremde im Eigenen akzeptiert.

Apropos Nichtwissen. Dazu eine kleine Geschichte, eine Vater-und-Sohn-Geschichte. Sie stammt von dem großen britisch-amerikanischen Biologen Gregory Bateson und sie geht so: (Zitat:) „Ich kannte einmal einen kleinen Jungen in England, der seinen Vater fragte: „Wissen Väter immer mehr als die Söhne?“, und der Vater sagte: „Ja“. Die nächste Frage war: „Papi, wer hat die Dampfmaschine erfunden?“ und der Vater antwortete: „James Watt“. Darauf der Sohn: „Aber warum hat sie dann nicht James Watts Vater erfunden?“

In diesem Sinne möchte ich Sie einladen, sich mit dem eigenem Nichtwissen vertraut zu machen und – was daraus für mich zwingend folgt – sich in neuer Weise auf den anderen einzulassen. Denn diese Welt ist komplexer, als wir denken. Wer sie verstehen, wer sich in ihr orientieren und verständig agieren will, kann dies nicht allein. Als Einzelne sind wir überfordert mit unserem Wissen und Können. Wir brauchen den Anderen als Korrektiv und Ergänzung.

Es ist deshalb die Zeit für eine neue praktische Vernunft in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Eben für eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Ich möchte sie in Form eines Appells oder besser: eines Wunsches äußern – wir sind ja noch am Beginn des Neues Jahres, da darf man Wünsche äußern: Haben Sie den Mut, sich Ihres eigenen Verstandes und des der anderen zu bedienen. Der anderen jenseits der Grenzen Ihrer Disziplin, Ihres Glaubens, Ihres Systems. Dies scheint mir heute eine notwendige Ergänzung des berühmten, nicht mehr alleine hinreichenden Satzes des großen Königsberger Philosophen zu sein, wenn wir noch ein paar Dinge aufklären wollen. Es ist, wie ich es nenne, die Botschaft der zweiten Aufklärung. Es ist nicht nur ein neues Denken, sondern es ist eine Ethik, eine implizite Ethik für ein verantwortliches, nachhaltiges Handeln in dieser komplexen Welt.

Ob wir damit Erfolg haben werden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir keine andere Wahl haben, als es zu versuchen. Fragen wir uns also: Warum nicht? Ja: Warum eigentlich nicht?

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Und für das FORUM 46 und für Sie alle in diesem neuen Jahr: ein gutes Gelingen!

Dr. Bernhard von Mutius ist Sozialwissenschaftler und Philosoph, Leiter des Bergweg- Forums „Denken der Zukunft“ und Mitbegründer der DENKBANK. >>> http://www.vonmutius.de

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