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Nice Logo, no substance

von Christoph Herrmann

Glaubt man Brand-Consultants, ist heute alles Marke: Produkte, Materialien, Technologien,
Services, Unternehmen. Es gilt selbst «der Mensch als Marke», wie ein Buch titelt, das 2003 in
Deutschland für Furore sorgte. Nun erobert das Branding also auch Europa. Nicht nur
Markenberater, auch Politiker verfallen gerne der Versuchung einer «Marke Europa».Warum
dies gefährlich ist und die dabei vollzogenen Rückschlüsse in die falsche Richtung zielen, lässt
sich leicht zeigen.

Das Image eines Landes oder Staatenbundes hängt von deutlich mehr Einflussgrößen ab, als
dies bei einer Packung Cornflakes der Fall ist. Daher lässt es sich nicht so einfach topdown mit
entsprechendem Werbedruck verändern. Zudem ist der Einfluss der Geschichte und der
gewachsenen Kultur erheblich größer als bei Produktmarken: Länder brauchen demnach
deutlich länger für eine Veränderung ihres Markenbildes in den Köpfen der Menschen. Ferner
stecken hinter den scheinbaren Markenproblemen einzelner Länder oft erhebliche strukturelle
Defizite, die sich nicht einfach durch eine Neupositionierung, ein neues Logo oder eine
Kampagne wegretuschieren lassen. Genau das aber wird häufig versucht. Aufgrund des bei
Politikern wie Wählern vorherrschenden Denkens in Legislaturperioden fehlt für eine langfristig
orientierte, substanzielle Politik der lange Atem. Die Flucht in ein kurzfristiges Markendenken
ist da ein verständlicher, jedoch fragwürdiger Reflex. In Teilbereichen können Länder durch
gezielte Imagemaßnahmen durchaus Vorteile erzielen. Irland (im Standortwettbewerb) oder
Kolumbien (als Kaffee-Exporteur) gelang dies gut. Bei beiden waren die notwendigen
strukturellen Voraussetzungen allerdings auch real gegeben. Die Frage ist also, ob es zur
Imagebildung im internationalen Wettbewerb überhaupt der staatlichen Steuerung bedarf.
Indien, das seinen Ruf als Softwarenation keiner öffentlichen Kampagne, sondern einem hohen
Bildungsstand bei niedrigen Lohnkosten und der resultierenden Relocation-Politik zahlreicher
Unternehmen verdankt, belegt, dass sich Images häufig durch die «invisible hand» des
Marktes selber schaffen, vorausgesetzt, die Leistungssubstanz stimmt. Nicht ohne Grund
verweisen selbst konservative Marketingexperten zunehmend auf die Bedeutung von «word-ofmouth
»-Strategien. Um es platt auf den Punkt zu bringen: Was soll der ganze Hype um
Marken, wenn sich diese, bei stimmiger Substanz, selbst erschaffen? Fatal an der Betrachtung
von Ländern durch die Markenbrille ist also nicht, dass man beides zueinander in Bezug setzt,
sondern vielmehr, dass dabei veraltete Marketingstrategien kolportiert werden. Als ob das
Marketing nicht schon längst erkannt hätte, dass nur auf die Oberfläche ausgerichtete
Strategien scheitern müssen. Ob in der Politik oder am Markt: Die Menschen sind es leid,
«markentechnisch» an der Nase herumgeführt zu werden, und verhalten sich entsprechend
illoyal. Das bedeutet nicht, dass sie sich den Einflüssen des Marketings ganz entziehen
könnten, aber sie sind skeptisch, wechselfreudig und haben die Okkupierungsbemühungen von
Industrie und Politik längst durchschaut.

Eine wichtige Schlussfolgerung ist, dass sich Politiker wie Marketingmanager, wenn sie eine
erfolgreiche «Markenpolitik» betreiben wollen, stärker mit der Substanz ihrer Marken
auseinander setzen müssen. Eine schöne Werbung genügt nicht. Nur wenn Produktleistung und
Gesamtversprechen stimmen, haben Marken noch eine Chance, langfristig bei den Zielgruppen
Gehör zu finden.

Europa ist markentechnisch gesehen zweierlei: Dach-und Verbundmarke zugleich. Daher hat
sie es schwer. Sie muss nach innen wie Außen mit einer vielschichtigen Historie,
unterschiedlichen Kulturen und Aversionen zurechtkommen. Wie groß der Einfluss dieser die
Markensubstanz störenden Elemente ist, zeigen zwei Beispiele: Mit dem Aufruf «Die
Regulierungswut Brüssels sollte von uns allen in ihrer ganzen Bedrohlichkeit wahrgenommen
werden» bezog eins Grey-Chairman Bernd M. Michael Stellung zur Europapolitik. Er bezeichnet
sie als «Schlachtfeld» und fordert «die Guten» auf, die Bürger vor «dem Bösen» (Brüssel) zu
schützen. Es überrascht, wie wenig markensensibel sich hier einer gebärdet, der zu Europas
führenden Markentechnikern gehört – was die Substanz der Marke Europa weiter schwächt. Zu
welchen Schizophrenien dies führt, offenbarte sich, als Gerhard Schröder dem polnischen
Ministerpräsidenten Leszek Miller anbot, ihn am 1. Mai 2004 in seiner Regierungsmaschine von


einer deutsch-polnisch-tschechischen Erweiterungsfeier in Zittau mit nach Dublin zu nehmen.
Dies löste eine heiße Kontroverse aus: «Ein polnischer Ministerpräsident, der im Ausland einer
deutschen Luftwaffenmaschine entsteigt. Niemals!» Was tun angesichts solcher Konflikte? Eine
große Markenkampagne? Eine Europafahne für jedes Schulkind? Ein simultaner Mega-Europa-Marken-Event in allen Großstädten? Eine Promotionstour der Staatsmänner bis in die kleinsten
Winkel der Union? Damit werden Imageprobleme nicht gelöst; eher schon mit Reformen der
Kommission und einer neuen Verfassung.

Europa ist markentechnisch gesehen zweierlei: Dach-und Verbundmarke zugleich. Daher hat
sie es schwer. Sie muss nach innen wie Außen mit einer vielschichtigen Historie,
unterschiedlichen Kulturen und Aversionen zurechtkommen. Wie groß der Einfluss dieser die
Markensubstanz störenden Elemente ist, zeigen zwei Beispiele: Mit dem Aufruf «Die
Regulierungswut Brüssels sollte von uns allen in ihrer ganzen Bedrohlichkeit wahrgenommen
werden» bezog eins Grey-Chairman Bernd M. Michael Stellung zur Europapolitik. Er bezeichnet
sie als «Schlachtfeld» und fordert «die Guten» auf, die Bürger vor «dem Bösen» (Brüssel) zu
schützen. Es überrascht, wie wenig markensensibel sich hier einer gebärdet, der zu Europas
führenden Markentechnikern gehört – was die Substanz der Marke Europa weiter schwächt. Zu
welchen Schizophrenien dies führt, offenbarte sich, als Gerhard Schröder dem polnischen
Ministerpräsidenten Leszek Miller anbot, ihn am 1. Mai 2004 in seiner Regierungsmaschine von
einer deutsch-polnisch-tschechischen Erweiterungsfeier in Zittau mit nach Dublin zu nehmen.
Dies löste eine heiße Kontroverse aus: «Ein polnischer Ministerpräsident, der im Ausland einer
deutschen Luftwaffenmaschine entsteigt. Niemals!» Was tun angesichts solcher Konflikte? Eine
große Markenkampagne? Eine Europafahne für jedes Schulkind? Ein simultaner Mega-EuropaMarken-
Event in allen Großstädten? Eine Promotionstour der Staatsmänner bis in die kleinsten
Winkel der Union? Damit werden Imageprobleme nicht gelöst; eher schon mit Reformen der
Kommission und einer neuen Verfassung.

Was Europa jedoch dringend braucht, ist eine klare Vision, ein Leitbild, eine Markenutopie –
das heißt: die Kraft, sich Europa auch anders vorstellen zu können als heute. Solche Utopien
haben Europa in der Vergangenheit vorangebracht und geeint – vom «Briand-Memorandum»
über de Gaulles «Europa der Vaterländer» und den «Schumann-Plan» bis zum Paradigma des
«gemeinsamen Marktes». Insofern hat Europa tatsächlich etwas mit Produktmarken
gemeinsam: Wenn die Substanz nicht stimmt, braucht es klare Vorstellungen, wie diese
morgen aussehen soll. Daran mangelt es jedoch in der Politik ebenso wie im Management
vieler Unternehmen. Schuld daran hat wohl ein relativ simpler Mechanismus: Wer Positionen
bezieht, braucht Mut. Dass Europa wie die Führung vieler Marken krankt, liegt nicht zuletzt am
Opportunismus der Menschen, die für diese arbeiten. Diesen Mechanismus zu durchbrechen,
ist nicht einfach. Es braucht dazu das, was Europa selbst dringend benötigt – ein gehöriges
Maß an utopischer Energie.

Der Autor, Dr. Christoph Herrmann ist Managing Partner von hm+p |Herrmann, Moeller +
Partner, Frankfurt/Main und München.

 

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