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Den II. Interdisziplinären Salon für Europa veranstaltete das FORUM46
am 24. November 2005 in der Galerie des Polnischen Institutes.

Das Thema des Abends:

FINALITÄT

Was wollen wir, wenn wir uns selbst wollen?

Die Diskussionsrunde

Dr. Reetta Toivanen
Institut für Europäische Ethnologie, Humbolt Universität zu Berlin

Assa Safy Etiel („Sniper“)
Videokünstler und VJ

Rita Booker
Intercultural Coach, European Standards Consulting

 

Moderation

Dr. Hagen Schulz-Forberg
FORUM46 - Interdisziplinäres Forum für Europa e.V.

 

Leitfragen

Der Versuch, Europa historisch, politisch, und philosophisch zu denken, führt auf das gegenwärtige Dilemma Europas. Woran kann sich Europa heute noch grundsätzlich orientieren: an dem, was es einmal war, oder an dem, was es vielleicht sein wird, sein will oder sein kann? Den Menschen verstehen, heißt seine Ausrichtung auf ein final gesetztes Ziel durchschauen. Welchem Bauplan folgt die Europäische Union? Was ist Europas (innere) Finalität?

 

Zur Finalität Europas

Von Ingolf Pernice

Der Weg ist das Ziel, so lautet eine etwas saloppe Antwort auf die Frage nach der Finalität Europas, und mit dem Weg ist die fortschreitende Integration gemeint. Aber wohin führt dieser Prozess, wo ist er zu Ende? Denn der Gedanke des Endes schwingt im Begriff der Finalität mit. Worauf soll der Entwicklungsprozess der Europäischen Union hinauslaufen, inhaltlich und auch räumlich? Geht es um einen neuen Staat, die „Staatswerdung Europas“, einen Bundes- oder gar Superstaat, als Bollwerk gegen West und Ost? Oder nur um eine große Freihandelszone, oder einen Staatenbund als völkerrechtliche Form der Zusammenarbeit, ein Netzwerk? Ist die Lehre Jellineks von den Staatenverbindungen das letzte Wort? Kann es neben derartigen Modellen andere Formen der wirtschaftlichen oder politischen Organisation geben, Leit- und Vorstellungsbilder, die den Integrationsprozess in seiner Eigenart und Zielrichtung einfangen? Und wo soll die Union räumlich enden, eine Union die sich nur fortlaufend erweitert und wegen Größe und Vielfalt immer weniger überschaubar wird?

Viele Menschen in Europa kennen die Europäische Union als überstaatliches Gemeinwesen der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten, die sich darin als „Unionsbürger“ definieren, noch gar nicht. Wer davon gehört hat, kann nicht viel damit anfangen, weil die Idee einer Organisation „sui generis“, des „supranationalen Föderalismus“, einer „Föderation der Nationalstaaten“ oder wie man diese Union sonst zu qualifizieren versucht, zu komplex ist, zu ungewohnt und auch zu abstrakt, um sich eine Vorstellung davon zu machen und wenigstens im Ansatz zu verstehen, worum es geht. Auch die neueste Entwicklung und der Versuch, das unüberschaubare Vertragswerk, das bestehende Neben- oder besser: Ineinander von Europäischer Union und Europäischer Gemeinschaft in eine „Verfassung für Europa“ umzugießen und damit transparenter, einfacher verstehbar zu machen, hilft bei der Frage, was die Union eigentlich ist oder werden soll, nicht weiter. Sie wird das Verständnis für die Europäische Union in ihrer Eigenart und Finalität nicht erleichtern. Die EU bleibt dem Bürger fremd, unfassbar und damit fern, obwohl sie doch eine Union der Bürgerinnen und Bürger ist, in deren Namen auch der Vertrag über die Verfassung für Europa verfasst und beschlossen wurde. Was ist und was wird die EU, darauf richtet sich die Frage nach der Finalität, und bei der Antwort bleiben Politiker und Experten ratlos. Was kann dann aber die gesuchte europäische Identität mit all den darein gelegten Erwartungen sein? Den Prozess der Integration und die nach und nach gebildeten Strukturen in ihrem Verhältnis zu den Bürgern und zu den Mitgliedstaaten, die sich nach wie vor als souveräne Nationalstaaten verstehen, auf einen Begriff zu bringen, ist bislang nicht gelungen. Auch die Erinnerung an das alte römische Reich deutscher Nation, nach Samuel Pufendorf „monstro simile“, ist keine wirkliche Hilfe. Das Bundesverfassungsgericht versucht es mit der von Paul Kirchhof geprägten Formel vom „Staatenverbund“, Neil McCormick schlägt den Begriff des „commonwealth“ vor, in Frankreich spricht man von der „fédération d’Etats-nation“, aber kein Begriff hat bislang den Widerhall in der Bevölkerung gefunden, der nötig wäre, um denjenigen Gegenstand wirklich begreiflich zu machen, der jetzt in der neuen Verfassung für Europa rechtlich neu geordnet und begründet wird. Oder sollte die Frage letztlich so offen bleiben, wie der Prozess der Integration selbst?

Der Versuch einer Annäherung wird nachfolgend in drei Schritten unternommen: Ausgangspunkt für den Juristen sind die Texte, das also, was die nationalen Verfassungen über das gemeinsame Projekt der Europäischen Union sagen, und vor allem die Texte der Verträge über die Union und ihre Verfassung. Im historischen Kontext gesehen wird deutlich, dass die Entwicklung der Union im Gegensatz zu staatlichen Organisationsformen im traditionellen Sinne nicht auf ein statisches (Staats-)Gebilde zielt, sondern in Abkehr vom westfälischen Modell die Methode zur Verwirklichung einer inhaltlichen Idee ist, vielleicht dessen, was Jeremy Rifkin den „Europäischen Traum“ nennt. Mit dem Konzept der Rechtsgemeinschaft als Muster für eine künftige Weltordnung könnte sie weit darüber hinausgreifend Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Alternative zu der auf nationale Souveränität und Abgrenzung der Staaten gegründeten völkerrechtlichen Ordnung sein.

Dies ist nur die Einleitung des Artikels. Die gesamte Ausgabe können Sie hier herunterladen: >>> Zur Finalität Europas  

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Nomos Verlages.

DER AUTOR
Prof. Dr. Ingolf Pernice ist Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und geschäftsführender Direktor des Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin (WHI).

 

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