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Am Donnerstag, den 14. Mai 2009 um 19:00 Uhr veranstaltete das
FORUM46 gemeinsam mit der Humboldt-Viadrina School of Governance
und der Heinrich Böll Stiftung den X. Interdisziplinären Salon für Europa.

Unser Thema des Abends:

MADE IN EUROPE

Wo wollen wir stehen?

 

Die Diskussionsrunde

Prof. Dr. Michael Hutter
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung,
Direktor, Abt. „Kulturelle Quellen von Neuheit“

Farhad Dilmaghani
Head of Corporate and Marketing Communications, European School of Management and Technology

Nils aus dem Moore
Präsident von Cafe Babel Deutschland, Referent für wirtschaftspolitische
Kommunikation beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI)

Omid Nouripour
MdB, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

 

Moderation

Dr. Hagen Schulz-Forberg
FORUM46 - Interdisziplinäres Forum für Europa e.V.

 

Leitfragen

Im Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation stellten wir uns die Fragen:  Welche Rolle kann, muss und soll Europa künftig in der globalisierten Welt spielen?  Welchen Platz in der Wirtschaftskette streben wir an? Produktionsstätte? Dienstleister? Ideengeber?

 

 

Nice Logo, no substance

Von Christoph Herrmann

Glaubt man Brand-Consultants, ist heute alles Marke: Produkte, Materialien, Technologien, Services, Unternehmen. Es gilt selbst «der Mensch als Marke», wie ein Buch titelt, das 2003 in Deutschland für Furore sorgte. Nun erobert das Branding also auch Europa. Nicht nur Markenberater, auch Politiker verfallen gerne der Versuchung einer «Marke Europa».Warum dies gefährlich ist und die dabei vollzogenen Rückschlüsse in die falsche Richtung zielen, lässt sich leicht zeigen.

Das Image eines Landes oder Staatenbundes hängt von deutlich mehr Einflussgrößen ab, als dies bei einer Packung Cornflakes der Fall ist. Daher lässt es sich nicht so einfach topdown mit entsprechendem Werbedruck verändern. Zudem ist der Einfluss der Geschichte und der gewachsenen Kultur erheblich größer als bei Produktmarken: Länder brauchen demnach deutlich länger für eine Veränderung ihres Markenbildes in den Köpfen der Menschen. Ferner stecken hinter den scheinbaren Markenproblemen einzelner Länder oft erhebliche strukturelle Defizite, die sich nicht einfach durch eine Neupositionierung, ein neues Logo oder eine Kampagne wegretuschieren lassen. Genau das aber wird häufig versucht. Aufgrund des bei Politikern wie Wählern vorherrschenden Denkens in Legislaturperioden fehlt für eine langfristig orientierte, substanzielle Politik der lange Atem. Die Flucht in ein kurzfristiges Markendenken ist da ein verständlicher, jedoch fragwürdiger Reflex. In Teilbereichen können Länder durch gezielte Imagemaßnahmen durchaus Vorteile erzielen. Irland (im Standortwettbewerb) oder Kolumbien (als Kaffee-Exporteur) gelang dies gut. Bei beiden waren die notwendigen strukturellen Voraussetzungen allerdings auch real gegeben. Die Frage ist also, ob es zur Imagebildung im internationalen Wettbewerb überhaupt der staatlichen Steuerung bedarf. Indien, das seinen Ruf als Softwarenation keiner öffentlichen Kampagne, sondern einem hohen Bildungsstand bei niedrigen Lohnkosten und der resultierenden Relocation-Politik zahlreicher Unternehmen verdankt, belegt, dass sich Images häufig durch die «invisible hand» des Marktes selber schaffen, vorausgesetzt, die Leistungssubstanz stimmt. Nicht ohne Grund verweisen selbst konservative Marketingexperten zunehmend auf die Bedeutung von «word-of-mouth»-Strategien. Um es platt auf den Punkt zu bringen: Was soll der ganze Hype um Marken, wenn sich diese, bei stimmiger Substanz, selbst erschaffen? Fatal an der Betrachtung von Ländern durch die Markenbrille ist also nicht, dass man beides zueinander in Bezug setzt, sondern vielmehr, dass dabei veraltete Marketingstrategien kolportiert werden. Als ob das Marketing nicht schon längst erkannt hätte, dass nur auf die Oberfläche ausgerichtete Strategien scheitern müssen. Ob in der Politik oder am Markt: Die Menschen sind es leid, «markentechnisch» an der Nase herumgeführt zu werden, und verhalten sich entsprechend illoyal. Das bedeutet nicht, dass sie sich den Einflüssen des Marketings ganz entziehen könnten, aber sie sind skeptisch, wechselfreudig und haben die Okkupierungsbemühungen von Industrie und Politik längst durchschaut.

Eine wichtige Schlussfolgerung ist, dass sich Politiker wie Marketingmanager, wenn sie eine erfolgreiche «Markenpolitik» betreiben wollen, stärker mit der Substanz ihrer Marken auseinander setzen müssen. Eine schöne Werbung genügt nicht. Nur wenn Produktleistung und Gesamtversprechen stimmen, haben Marken noch eine Chance, langfristig bei den Zielgruppen Gehör zu finden.

Europa ist markentechnisch gesehen zweierlei: Dach- und Verbundmarke zugleich. Daher hat sie es schwer. Sie muss nach innen wie Außen mit einer vielschichtigen Historie, unterschiedlichen Kulturen und Aversionen zurechtkommen. Wie groß der Einfluss dieser die Markensubstanz störenden Elemente ist, zeigen zwei Beispiele: Mit dem Aufruf «Die Regulierungswut Brüssels sollte von uns allen in ihrer ganzen Bedrohlichkeit wahrgenommen werden» bezog eins Grey-Chairman Bernd M. Michael Stellung zur Europapolitik. Er bezeichnet sie als «Schlachtfeld» und fordert «die Guten» auf, die Bürger vor «dem Bösen» (Brüssel) zu schützen. Es überrascht, wie wenig markensensibel sich hier einer gebärdet, der zu Europas führenden Markentechnikern gehört – was die Substanz der Marke Europa weiter schwächt. Zu welchen Schizophrenien dies führt, offenbarte sich, als Gerhard Schröder dem polnischen Ministerpräsidenten Leszek Miller anbot, ihn am 1. Mai 2004 in seiner Regierungsmaschine von einer deutsch-polnisch-tschechischen Erweiterungsfeier in Zittau mit nach Dublin zu nehmen. Dies löste eine heiße Kontroverse aus: «Ein polnischer Ministerpräsident, der im Ausland einer deutschen Luftwaffenmaschine entsteigt. Niemals!» Was tun angesichts solcher Konflikte? Eine große Markenkampagne? Eine Europafahne für jedes Schulkind? Ein simultaner Mega-Europa-Marken-Event in allen Großstädten? Eine Promotionstour der Staatsmänner bis in die kleinsten Winkel der Union? Damit werden Imageprobleme nicht gelöst; eher schon mit Reformen der Kommission und einer neuen Verfassung.

Europa ist markentechnisch gesehen zweierlei: Dach- und Verbundmarke zugleich. Daher hat sie es schwer. Sie muss nach innen wie Außen mit einer vielschichtigen Historie, unterschiedlichen Kulturen und Aversionen zurechtkommen. Wie groß der Einfluss dieser die Markensubstanz störenden Elemente ist, zeigen zwei Beispiele: Mit dem Aufruf «Die Regulierungswut Brüssels sollte von uns allen in ihrer ganzen Bedrohlichkeit wahrgenommen werden» bezog eins Grey-Chairman Bernd M. Michael Stellung zur Europapolitik. Er bezeichnet sie als «Schlachtfeld» und fordert «die Guten» auf, die Bürger vor «dem Bösen» (Brüssel) zu schützen. Es überrascht, wie wenig markensensibel sich hier einer gebärdet, der zu Europas führenden Markentechnikern gehört – was die Substanz der Marke Europa weiter schwächt. Zu welchen Schizophrenien dies führt, offenbarte sich, als Gerhard Schröder dem polnischen Ministerpräsidenten Leszek Miller anbot, ihn am 1. Mai 2004 in seiner Regierungsmaschine von einer deutsch-polnisch-tschechischen Erweiterungsfeier in Zittau mit nach Dublin zu nehmen. Dies löste eine heiße Kontroverse aus: «Ein polnischer Ministerpräsident, der im Ausland einer deutschen Luftwaffenmaschine entsteigt. Niemals!» Was tun angesichts solcher Konflikte? Eine große Markenkampagne? Eine Europafahne für jedes Schulkind? Ein simultaner Mega-Europa-Marken-Event in allen Großstädten? Eine Promotionstour der Staatsmänner bis in die kleinsten Winkel der Union? Damit werden Imageprobleme nicht gelöst; eher schon mit Reformen der Kommission und einer neuen Verfassung.

Was Europa jedoch dringend braucht, ist eine klare Vision, ein Leitbild, eine Markenutopie – das heißt: die Kraft, sich Europa auch anders vorstellen zu können als heute. Solche Utopien haben Europa in der Vergangenheit vorangebracht und geeint – vom «Briand-Memorandum» über de Gaulles «Europa der Vaterländer» und den «Schumann-Plan» bis zum Paradigma des «gemeinsamen Marktes». Insofern hat Europa tatsächlich etwas mit Produktmarken gemeinsam: Wenn die Substanz nicht stimmt, braucht es klare Vorstellungen, wie diese morgen aussehen soll. Daran mangelt es jedoch in der Politik ebenso wie im Management vieler Unternehmen. Schuld daran hat wohl ein relativ simpler Mechanismus: Wer Positionen bezieht, braucht Mut. Dass Europa wie die Führung vieler Marken krankt, liegt nicht zuletzt am Opportunismus der Menschen, die für diese arbeiten. Diesen Mechanismus zu durchbrechen, ist nicht einfach. Es braucht dazu das, was Europa selbst dringend benötigt – ein gehöriges Maß an utopischer Energie.

DER AUTOR
Dr. Christoph Herrmann ist Managing Partner von hm+p |Herrmann, Moeller + Partner, Frankfurt/Main und München.


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