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Am Donnerstag, den 29. Mai 2008 um 19:00 Uhr veranstaltete das
FORUM46 gemeinsam mit der Humboldt-Viadrina School of Governance
und der Heinrich Böll Stiftung den IX. Interdisziplinären Salon für Europa.

Unser Thema war:

AVANTGARDE

Oder die Frage nach dem Next Big Flop

Die Diskussionsrunde

Anja Förster
Managementberaterin und Business-Querdenkerin

Prof. Dr. Birger P. Priddat
Präsident der Universität Witten/Herdecke

Dr. Ewald Böhlke
Philosoph, Daimler AG Research Group

Martin Ertl
Leiter Innovationsimpulse, BMW Group


Moderation

Dariusz Radtke
FORUM46 - Interdisziplinäres Forum für Europa e.V.


Leitfragen

Bestehende Strukturen und Muster verstehen, sie gleichzeitig aber subversiv unterspülen, konterkarieren und bloßstellen, ist ein gängiges Charakteristikum von Avantgardisten. Dabei geht es nicht allein um plumpe Opposition, sondern durchaus um neue Ideen und die Umsetzung dieser neuen Ideen. Der subversive Exzess von heute, ist der Trend von Morgen.

Nur reicht das noch aus, um von einer Innovation zu sprechen? Was ist das Neue? Was ist eine echte Innovation? Geht uns vor lauter Innovation gar der Mainstream verloren? Ist Europa noch ein Kontinent innovativer Ideen?

 

 

Koordinaten eines Salongesprächs

Von Tiemo Ehmke, FORUM46

Avantgarde

Bekannt als Bezeichnung im französischen Militär als Vorhut der Truppenteile, wurden unter Avantgarde im übertragenen Sinn vor allem künstlerische und politische Bewegungen des 20. Jahrhunderts verstanden, die eine starke Fokussierung auf die Idee des Fortschritts  hatten und sich in Tat oder Ansinnen durch besondere Radikalität hervortaten. Im Allgemeinen wird dem so Benannten eine Vorreiterrolle zugeschrieben, indem es ausgetretene Pfade verlässt und wegweisende Neuerungen anstösst. In Abgrenzung zum Trendsetter werden von Avantgardisten grundsätzliche und längerfristige Wirkungen erwartet. Insofern kann Avantgarde als Elite bezüglich Kreativität und Innovation verstanden werden, obgleich sie seltener bis nie der Elite gesellschaftlicher Macht angehören. Das strukturelle Problem der Avantgarde in der Kunst ist das System der Überbietungsformen. Was gestern noch schockierte ist heute mehr als ein alter Hut. Weisse Leinwände, Nonsens-Gedichte und Schweigen in der Musik sind wesentlich nicht zu überbieten. Was nun?

Kunst

Diese Kritik am Begriff der Avantgarde – dass also Personen oder Gruppen als Fortschritts-macher vorangehen und der Mainstream folgen müsse – liegt im Versiegen der künstlerischen und im Scheitern der meisten politisch - revolutionären Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Das plurale Nebeneinander wird gesellschaftlich einfach höher bewertet. Im ZKM Karlsruhe z.B. wurde das Prinzip des intensiven Dialogs zwischen Kunst und Wirtschaft bereits in den Gründungsgedanken  eingeschrieben,  um technologische  Erfindungen voranzutreiben. Das darf man getrost und nach wie vor mit grosser Skepsis sehen. So beschreibt Boris Groys Kunst als Grundlagenforschung; mit der Anwendung jedoch sei das so eine Sache. Was er dem Künstler aber als Vorreiter in Fragen des Marktes bescheinigt, ist eine Rolle als Marketing-Held. Er schaffe Bedürfnisse, wofür es keine Bedürfnisse gäbe, vergleicht Unterwäsche und schwarze Quadrate und postuliert den Kunstmarkt als die Avantgarde einer modernen Wirtschaft. Dieses Verständnis greift auf die Vorstellung von Kunst zurück, in der es darum geht, mit welcher Perspektive diese gesehen werde und nicht, was sie zeige. Es gilt der Code des Kunstsystems – was schon da ist, ist uninteressant. Das ist die Logik der Sammlung. Da bleibt nur das Spiel mit dem Code und die andere Kontextualisierung, eine Neubewertung des Schaffens, des Werkes. Hier schliesst sich die Argumentation Franz Liebls an, der mit Cultural Hacking dem Konsumenten das Gleiche unterstellt wie dem Künstler oder Designer – die Neucodierung der Dinge (Produkte) und Entfremdung. Unternehmen müssten mit diesem Hintergrund Konsum als zweite Stufe der Produktion ansehen und die Kommunikation mit dem Kunden anders ausrichten.

Innovation

Kleiner Götze unserer langen Tage! Seit nunmehr 500 Jahren haben wir modernen Europäer in unserer Neuigkeitssucht das Neue, die Neuerung, die Innovation fest im Visier.  Die Trennschärfe in der Verwendung des Begriffes ist so klar wie Brackwasser. Heute sind es Innovationsgipfel und –initiativen, Kreativcluster und Vorsprungsdirektiven, die häufig die Aussicht auf Künftiges und die Rückkopplung  mit dem Tradierten vernebeln. Die Bedeutung von etwas Neuem – eben auch neuer Technologien oder innovativer Prozesse – ist aber grundsätzlich damit verbunden, dass wir das Alte mit neuen Augen sehen lernen. Wenn etwas tatsächlich neu ist, erschliesst es sich nur in Verbindung mit dem Bekannten, dem Redundanten als Ressource, weil das Neue ja – zunächst – keine Bestimmung hat. Um die eigene soziale oder wirtschaftliche Stellung zu behaupten,  muss man viel  verändern. Bazon Brock zieht in diesem Zusammenhang den Schluss, dass Avantgarde nur das ist, was uns zwingt, die Traditionen in neuer Weise zu würdigen und damit immer erneut als vergegenwärtigende Rückerfindung, als Renaissance, produktiv werden zu lassen.

Wirtschaft

Dass Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit eine zentrale Rolle spielen, hat einen breiten Konsens in den Wirtschaftswissenschaften. Der Innovationsdruck wird sich weiter erhöhen und global immer mehr hochqualifizierte Wissens-arbeiter beschäftigen. Dennoch sind die Unternehmen trotz erhöhter Investitionen mit den ökonomischen Resultaten ihrer Innovationsbemühungen nicht zufrieden. Das Dilemma lässt sich vielleicht in folgenden Formulierungen ausdrücken, die Booz Allen Hamilton in einer Befragung 2005 resümierten: „Money doesn't buy results. How you spend is far more important than how much you spend.“ Nach A. Fliaster stellt man in der Auseinandersetzung mit der Innovationsliteratur fest, dass zwar eine Fülle von Managementinstrumenten zur Verbesserung des betrieblichen Innovationsprozesses helfen können, die eigentliche Grundfrage – wie neue und nützliche Ideen entstehen – aber selten explizit in den Mittelpunkt gestellt wird. Bahnbrechende Innovationen mit ihren besonders hohen ökonomischen Einzeleffekten lassen sich aber nicht durch Modifikationen und Verbesserungen erreichen. Diese setzen neben der Fachqualifikation und einem  sensibilisierten Umfeld im Unternehmen kognitive Fähigkeiten voraus, die entscheidenden Komponenten von Wissen in unterschiedlichen Feldern zu erkennen, auszuwählen und zu verknüpfen. Diese Kombinationsfähigkeit wird als Kreativität beschrieben. Hier sollte sich der Kreis der Diskussion zu Avantgarde und Kunst schliessen – ohne die Beispiele von konkretem Innovationsmanagement zu vernachlässigen.

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